Overdosed

Den Sohn, den ich liebe. Oh Gott, bitte nicht mein Sohn. Wie kann das dein Wille sein? Bitte lass ihn leben. Bitte gib ihm noch eine Chance. Lass ihn wachsen in dir. Er ruft nach dir. Du musst es doch hören. Diese Verzweiflung, diese Sehnsucht. Diese Zerbrochenheit. Das ist doch genau dein Metier. Dein Business. Genau diese Kinder willst du retten. Vater unser. Hosianna. Herr hilf.

Mein Sohn wurde am Montag entlassen. Keine zehn Tage vorher hatte er Ausgang und ich durfte ihn sehen. Er sah gut aus. Wohl genährt. Er war lebendig. Mein Vaterherz pochte wild in stiller Freude.

Und doch war ich realistisch. Eine hochgradig süchtige Freundin. Der Sommer, der so wunderbar die Gefühle zulässt und sie sogar noch befeuert. Young love. So desperate. So drogenverseucht. Zu erwarten, dass dieser schöne, junge Mann nach fast vier Monaten frei kommt und nun Mr. Clean wird, wäre reine Selbsttäuschung.

Ich hatte Hoffnung. Ich habe immer Hoffnung. Sogar in den ausweglosesten Situationen finde ich Hoffnung. Sie kommt von oben. Es ist Friede, Freude und Liebe. Wenn ich hoffe, dann aus Liebe, aus Freude und durch meinen Frieden. Das Geschenk meines Glaubens. So unverdient.

Einige Tage später. Intensivstation. Der Monitor zeichnet Kurven von Vitalwerten. Ab und zu ertönt ein nervöses Piepsen, wenn die Sauerstoffsättigung absinkt. Oder irgend sowas.

Ich stehe am Bett und sage „Danke, lieber Gott. Danke Jesus. Danke, dass du mir diesen Schmerz erspart hast.“ Der Gedanke, diesen, meinen geliebten Sohn zu verlieren wäre wirklich schlimm. Dieser Sohn ist mein Leben. (Und auch ihr anderen Söhne seid mein Leben ????)

Was wäre ich ohne ihn, was wäre ich ohne euch? Garantiert nicht der, der ich heute bin. Durch euch bin ich gewachsen. Durch euch wurde ich erwachsen. Ihr seid das Geschenk von Gott an mich. Ohne Rückgaberecht. Keine Gewährleistung. Nimm mich, wie ich bin. Das musste ich lernen. Kein Sohn ist gleich. Und so ist jeder einzigartig. Das ist der Plan. Ich habe verstanden, es geht nicht um mich. Es geht um die Söhne. Einst war ich ein Sohn. Jetzt bin ich immer noch Sohn. Ein Sohn meines himmlischen Vaters. Aber ich darf selbst Vater sein. Als ich jung war, ohne Plan, war ich ein lausiger Vater. Emotional, ganz bestimmt. Ich liebte meine Kinder. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ein Vater sein kann. Ich glaubte, meine Liebe, meine aufrichtige, ehrliche Liebe wären genug. Das stimmt vielleicht, wenn die Kinder klein sind. Aber Kinder werden älter. Sie brauchen zusätzliche Nahrung. Und davon hatte ich keine Ahnung. Ich hatte Ideen von Freiheit, von Selbstbestimmung. Ich wollte keine Autorität sein, vor der sie kuschen sollten. Das ist meine eigene Geschichte. Aus meiner Erfahrung heraus und ohne den Glauben an ihn, den Schöpfer des Universums, an seinen Sohn und ohne die Kraft und Führung des Heiligen Geistes, konnte ich nur so handeln. Es ist jetzt müßig, aufzuzählen, was ich alles hätte anders machen können. Es ist so viel.

Trotzdem habe ich diese Liebe und diese Treue bewahrt. Und dann wurde ich neu geboren. Ich bekam einen neuen Geist und ein neues Leben. Unspektakulär. Na und! Kein Blitz, kein weißes Licht. Ich erkannte und ich fühlte mich erkannt.

Das Piepen des Monitors war irgendwie auch beruhigend. Kein durchgängiges Piepen, sondern im Rythmus seines Pulses. Die Ärzte kümmerten sich um ihn. Das ist ihr Job. Danke dafür. Ich war da. Das ist mein Job. Für die Freundin waren wir Fremdkörper. Ich umarmte ihn. Ich sprach ihm meine Liebe zu. Dann konnte ich gehen.

Die Angst, dass er den Sommer nicht überlebt, oder den nächsten Tag kann ich abgeben. Ich werfe jetzt nicht weinen. Oder trauern.

Erstens habe ich das schon viel zu oft gemacht und zweitens hebe ich mir das für den Tag auf, an dem er tot ist. Das möchte ich nicht erleben. Aber Drogensucht ist wie Krieg. Im Krieg gibt es Opfer. Unnütz und sinnlos. Aber so ist es. Ich ahne, wie sich unser Vater im Himmel fühlt.

Und obwohl das alles sehr fatal klingt, sehe ich Hoffnung. Erst gestern war dieser Junge, dieser Sohn bei mir.

Ich liebe einfach. Denn ich wurde zuerst geliebt. Ich bin treu. Ich gehe meinem Sohn entgegen, wenn er kommt. Aber ich lasse ihn ziehen, wenn er weg will.